Verluste durch legale Abverkäufe
Nach den Aufzeichnungen des Journals der Käufe und Verkäufe – ein hausinternes Rechnungsbuch – wurden spätestens ab 1934 weit über
3.250 Kunstgegenstände aus den Sammlungen des Museums verkauft.
Seit den 1950er Jahren bemüht man sich auf Schloss Friedenstein, neben den kriegsbedingt aus Gotha verlagerten und entwendeten Kulturgütern auch den Verbleib der veräußerten Kunstwerke aufzuklären und deren Rückerwerb zu ermöglichen. Dies ist nach wie vor ein besonders schwieriges Unterfangen, da den Sammlungen durch die von den Stiftungsgründern seit 1928 verfolgte Veräußerungspolitik unwiederbringliche Verluste erlitten haben.
Über die aufgezeichneten Objekte hinaus wurden weitere, nicht näher bezeichnete Dubletten aus dem Münzkabinett, dem Kupferstichkabinett, den Sammlungen der europäischen, ostasiatischen und antiken Kunst und des Kunsthandwerks sowie verschiedene Dubletten vorgeschichtlicher Funde, wie jungsteinzeitliche Waffen und Geräte, an Privatpersonen, Kunsthändler und Museen im In- und Ausland abgegeben.
Allein in der Bibliothek wurden zwischen 1934 und 1942 rund 130 Verkäufe registriert, darunter wertvolle Handschriften, Nachlässe, Buchminiaturen und einzigartige mittelalterliche Kostbarkeiten wie das lateinische Wörterbuch Catholicon oder ein kunstvoll gestaltetes Gebetbuch, das sogenannte Gothaer Stundenbuch. Laut Verkaufsjournal wurde noch bis Kriegsende eine immense Anzahl von Buchdubletten auf dem Antiquariatsmarkt in ganz Deutschland und an Privatpersonen in Gotha angeboten. Die Auswertung der bisher quellenmäßig belegten Verkäufe aus Bibliotheksbeständen ergab jedoch, dass „es sich zumeist nicht um Dubletten oder defekte Exemplare handelte“.
Die überlieferten Verkaufsmeldungen aus dieser Zeit weisen jedoch große Lücken auf. Daher muss davon ausgegangen werden, dass weit mehr Objekte von offenbar erheblichem Wert veräußert wurden. Diese Annahme wird vor allem durch einige erhaltene Umsatzbelege gestützt, die eine Jahresbilanz der veräußerten Kulturgüter von mehr als 90.000 Reichsmark ausweisen.
Unklar ist auch, wie viele Gothaer Kunstgegenstände und Werke, die sich noch als Kommissionsware bei Kunsthändlern befanden, bei den alliierten Bombenangriffen zwischen 1943 und 1945 in Berlin und Dresden zerstört wurden.
Beispielobjekte:
Diese Objekte stehen für eine Vielzahl von Verlusten. Einige von ihnen konnten für den Friedenstein zurückgewonnen werden und gehören zu den glücklichen „Rückkehrern“, denen im Jahr 2021 die große Ausstellung „Wieder zurück in Gotha. Die verlorenen Meisterwerke“ gewidmet war. Andere werden weiterhin als Verluste geführt.
Das Gemälde wurde vor 1822 für Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg erworben und ab 1826 in der Herzoglichen Gemäldegalerie auf Schloss Friedenstein ausgestellt. 1936 erfolgte der Verkauf an die Berliner Kunsthandlung Matthiesen.
Im Jahr 2021 erwarb die Friedenstein Stiftung Gotha das Werk mit Unterstützung eines Freundeskreises zurück. Das Gemälde zeigt ein Begräbnis vor städtischer Kulisse mit trauernden Menschen. Der Haarlemer Künstler Brakenburg spezialisierte sich auf bäuerliche Szenen und folgte Vorbildern wie Adriaen van Ostade (1610-1685) und Jan Steen (1626-1679). Das Gemälde, das früher irrtümlich Steen zugeschrieben wurde, symbolisiert den Kreislauf des Lebens.
Provenienz:
Ankauf vor 1822 durch Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg
Objektgeschichte:
Seit 1826 in der Herzoglichen Gemäldegalerie, Schloss Friedenstein erwähnt; ab 1879 im Bestand des Herzoglichen Museums Gotha; Verkauf am 18. Februar 1936 an die Kunsthandlung Matthiesen in Berlin; Rückkauf aus deutschem Privatbesitz am 2. Juni 2021 bei einer Auktion von Van Ham in Köln Ankauf mit Unterstützung des Freundeskreises Kunstsammlungen Schloss Friedenstein Gotha e.V.
Auf einer unbefestigten Straße vor einer kleinstädtischen Szenerie mit mehreren Häusern hat sich allerlei Volk versammelt. Einige Personen betrachten einen Sarg, andere hören den Mitteilungen eines Ausrufers zu, der auf einem Sockel steht und von einem Blatt abliest. Ein Mädchen zu seinen Füßen hält einen Korb mit Fischen, ein Junge in leuchtend blauem Gewand ein Reifenspiel. Links tröstet eine alte Frau ein weinendes Kind. Weitere Personen kommen aus einem Gasthaus hinzu, um dem Geschehen beizuwohnen.
Die Größe des Sargs lässt auf das Begräbnis eines Kindes schließen, womöglich eines Geschwisters oder Spielkameraden des trauernden Jungen.
Dieses kleinformatige Gemälde gehörte ursprünglich zu einem Pendant gleichen Formats, das eine Kindertauf-Feier im Inneren eines Hauses darstellt. Das Gemälde wurde bereits 1932 aus den Sammlungen verkauft und ist heute verschollen. Die Gegenüberstellung von Innen- und Außenansichten in der Lebenswelt des einfachen Volkes vermittelt auf symbolischer Ebene den Lebenszyklus von Geburt bis Tod. Neben den Freuden und der Trauer wird so die Vergänglichkeit des irdischen Lebens dargestellt.
Der aus Haarlem stammende Künstler Brakenburg spezialisierte sich auf das Bauerngenre, ein in der niederländischen Malerei beliebtes Thema, das häufig in einem niederen Milieu und oft negativ konnotiert dargestellt wird. In dieser Hinsicht folgte er seinem Lehrmeister Adriaen van Ostade (1610–1685) und Jan Steen (1626–1679), dessen Werke auf dem Kunstmarkt großen Erfolg hatten.
Eine falsche Signatur unten links auf dem Gemälde sowie der enge thematische Bezug erklären, weshalb das Bild im 19. Jahrhundert Steen zugeschrieben wurde.
Das Gemälde wurde unter Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg für Gotha erworben und ab 1879 im Herzoglichen Museum präsentiert. Bedauerlicherweise wurde es 1936 aus den fürstlichen Sammlungen verkauft, um finanzielle Lücken der Kunststiftung zu schließen. Die Kenntnis über die Zugehörigkeit des Gemäldes zum früher veräußerten „Kindertaufschmaus“ war zu diesem Zeitpunkt bereits verloren gegangen. Der Rückkauf des Gemäldes erfolgte 2021.
Die kleine Tafel zeigt das abgeschlagene Haupt Johannes des Täufers. Es handelt sich um das untere Fragment eines größeren Werkes, das ursprünglich auch Salome darstellte, die das Tablett mit dem Kopf dem Publikum präsentiert. Seit 1656 in der Gothaer Kunstkammer inventarisiert, wurde das Gemälde 1936 verkauft. Dafür zersägte man das Werk in zwei Teile, da sich die blutige Szene als Ganzes bei den potenziellen Käufer*innen nicht großer Beliebtheit erfreute.
Der untere Teil kehrte 1936 nach Gotha zurück, während der obere Teil über Kunsthändler nach Amsterdam und London gelangte. Das Gemälde konnte 2015 Lucas Cranach dem Älteren (1472-1552) zugeschrieben werden, der ebenfalls eng mit der Stadt Gotha verbunden war. Der obere Teil galt seit 2012 als verschollen, tauchte aber 2024 im französischen Kunsthandel wieder auf.
Provenienz:
Mitgift der Herzogin Elisabeth Sophie von Sachsen-Altenburg (1619–1680);
1644 im Besitz des Herzogs Ernst I. von Sachsen-Gotha belegt und im Kaufhaus Gotha aufbewahrt.
Objektgeschichte:
Seit 1656 in der Gothaer Kunstkammer; 1936 Verkauf an die Galerie Buck in Mannheim; Galerie Abels in Köln, hier in zwei Teile zersägt; Rückgabe der unteren Bildhälfte nach Gotha 1936; der obere Bildteil: 1937 Kunsthandel P. de Boer in Amsterdam; September 1951 Kunsthandel Frederick Muller & Cie in Amsterdam, Los 20; 1972 Kunsthandel P. de Boer in Amsterdam; 2012 Christie’s in London.
Die Tafel mit der Darstellung des abgetrennten Haupts von Johannes dem Täufer auf einem Silberteller ist das untere Fragment eines ehemals größeren Gemäldes mit halbfiguriger Salome in leuchtend rotem Brokatgewand. Das Drama des biblischen Martyrers (Mt 1–12 und Mk 6.21–39) war ein beliebtes Thema am Hofe und ist in den Themenkreis der „Weibermacht“ einzuordnen. Auf protestantischer Seite diente es zur Reformationszeit zudem als negatives Beispiel für Tyrannentum und katholische Abgötterei.
Die Teilung der Cranach-Tafel fand nach erfolgtem Verkauf aus den Gothaer Sammlungen 1936 aus kommerziellen Gründen statt. Aus der negativ konnotierten biblischen Gestalt konnte dadurch ein unverfängliches Frauenbildnis werden, das auf dem Kunstmarkt als Porträt einer sächsischen Prinzessin angeboten wurde. Als unverkäufliches Bruchstück gelangte nur der Teil mit blutigem Kopf und der Rahmen in die Sammlungen zurück.
Über die Gründe des Verkaufs kann heute nur spekuliert werden. Innerhalb der sehr umfangreichen Gothaer Cranach-Sammlung erschien das Gemälde in den 1930er-Jahren entbehrlich, zumal es von Aldenhoven der Werkstatt zugewiesen wurde. Die schlechte finanzielle Ausstattung der Kunststiftung in den 1920er- und 30er-Jahren legitimierten solche Verkäufe zusätzlich.
Mit der Untersuchung des Gemäldes anlässlich der großen Cranach-Ausstellung 2015 fand eine Neubewertung statt. Seither wird das Fragment unmittelbar Cranach d. Ä. zugewiesen und auf um 1530 datiert. Der obere Teil des Gemäldes tauchte letztmals 2012 im Kunsthandel auf und ist seither verschollen.
Das Foto von Rose Heidl entstand vor dem Verkauf im Jahr 1936.
Die Teilung der Cranach-Tafel fand nach erfolgtem Verkauf aus den Gothaer Sammlungen 1936 aus kommerziellen Gründen statt. Aus der negativ konnotierten biblischen Gestalt konnte dadurch ein unverfängliches Frauenbildnis werden, das auf dem Kunstmarkt als Porträt einer sächsischen Prinzessin angeboten wurde. Als unverkäufliches Bruchstück gelangte nur der Teil mit blutigem Kopf und der Rahmen in die Sammlungen zurück.
Quellen:
Forschungsbibliothek Gotha (FBG), Chart. A 2119 II, Journal der Käufe und Verkäufe (Oktober 1934–Juli 1949), S. 1–28.
Hopf 2007b, S. 38. Anhand mangelhafter Quellenlage kann man diese Aussage für andere Sammlungsbereiche zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig bestätigen.
FSG, SM, Archiv, Akte 8387, Museum-Neuordnung-Verschiedenes, Brief vom Generaldirektor Voigts an Schenk zu Schweinsberg, 14.09.1942, unpag.
Wieder zurück in Gotha!: die verlorenen Meisterwerke, herausgegeben von Timo Trümper für die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. – Petersberg : Michael Imhof Verlag, [2021].