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Schattenspiel der Provenienzen – die Sammlung von C.P.K. Winckel in Gotha

von Dr. Kerstin Volker-Saad und Michał Maliczowski

Figur zum javanischen Theaterspiel, Semarang vor 1873, Provenienz C.P.K. Winckel. FSG Eth23Rf

Dieser Artikel erscheint anlässlich des Tages der Provenienzforschung 2024.

Der Advokat Christiaan Philip Karel von Winckel (geboren 1842 in Gravenhage, gestorben 1884 in Gotha) war eine schillernde Persönlichkeit „Jurist von Welt, wissenschaftlicher Sammler, Numismatiker, Privatsekretär“, wie Adrian Linder in seinem Bericht „Provenienz und Geschichte der Sammlung indonesischer Schädel der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha (2022)“ schreibt. 1865 bestand er die Prüfung als Kandidat für den Kolonialdienst mit Kenntnissen der javanischen Sprache. Er promovierte als Rechtsanwalt, arbeitete als Prokurator und Richter, war Mitglied des Raad van Justitie in Semarang (Java) und Verfasser mehrerer juristischer Werke. Er arbeitete viele Jahre für die niederländische Kolonialregierung in Batavia (heute: Djakarta).

Christiaan Philip Karel von Winckel
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0

Mit Beginn des Pilot- und Modellprojektes „Exemplarische Erschießung der Ethnographica in der Sammlung Stiftung Schloss Friedenstein Gotha (2020-2022)“ wurde das wichtigste Inventar zur Ergründung des außereuropäischen Kulturgutes entdeckt: Catalog des Kunstcabinets, Bd. 2, Sammlung für Völkerkunde, Capt. II, 1-11. In der Sektion 6 sind die Objekte aus dem damaligen Niederländisch-Ostindien (heute: Indonesien) unter der Rubrik „Waffen und Geräthe aus Java und Borneo“ verzeichnet. C.P.K. Winckel wird hier als Einlieferer besonderer und wertvoller Kunstgegenstände genannt, die er dem Gothaer Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha (reg. 1844-1893) übergab. Es handelt sich um Objekte, die im Depot aufbewahrt werden und der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, wie mehrere „Figuren für das javanische Theaterspiel (Wayang kulit), javanische Prunkwaffen und Krise (keris), chinesische Instrumente, darunter eine Mondgitarre, eine Zither, eine Pauke, Flöten und andere Saiteninstrumente sowie eine Mundorgel aus Bambusrohr mit 14 bis zu zwei Meter langen Pfeifen aus Südostasien. Darüber hinaus übergab er einen Kasten mit Modellen javanischer Kulturgegenstände, der verschiedene Formen von Waffen, Hausgeräten, architektonischen Schmuckelementen oder Handwerksgeräten enthielt, insgesamt 122 Objekte en miniature. Außerdem hatte C.P.K. Winckel einen Buddhakopf aus der Tempelanlage Borobudur im Gepäck, der als besonderes Geschenk angesehen werden kann.

Figur zum javanischen Theaterspiel, Semarang vor 1873, Provenienz C.P.K. Winckel. FSG Eth23Rf
Kris flammée aus Solo mit rother Scheide, Java um 1870, Provenienz C.P.K. Winckel. FSG Eth335W
Figur zum javanischen Theaterspiel, Semarang vor 1873, Provenienz C.P.K. Winckel. FSG Eth23Rj
Flöte, China vor 1873, Provenienz C.P.K. Winckel. FSG Eth8M

Der Gothaer Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha dankte es ihm mit mehreren Auszeichnungen, darunter 1871 das Ritterkreuz II. Klasse, 1874 das Ritterkreuz I. Klasse und 1878 das Komturkreuz II. Klasse des Sächsisch-Ernestinischen Hausordens. 1882 kehrte C.P.K. Winckel nach Europa zurück, ließ sich in Gotha nieder und wurde Privatsekretär des Herzogs. Insbesondere für seine numismatischen Verdienste wurde er geadelt.

Die bisherige Provenienzforschung in Gotha zu dieser Persönlichkeit beleuchtete einen hochgebildeten, polyglotten und vielseitigen Juristen, der sich mit der Kultur Südostasiens auseinandersetzte und sich – so die Vermutung – durch die Übergabe hochkarätiger Sammlungsobjekte in Gotha besonders hervorgetan hat. Der Besuch in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden bei Petra Martin, Kustodin für Südostasien, zeigte, dass C.P.K. Winckel der Generaldirektion der Königlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden in den 1880er Jahren auch gezielt Alltagsgegenstände, Neuware von Märkten und aus dem Batikhandwerk übergab, die sich heute noch in den Ethnographischen Sammlungen befinden.

Weitere Spuren führten in das Dresdner Münzkabinett, wo es nachweislich Einlieferungen von C.P.K. Winckel gab und auch in der Friedenstein Stiftung Gotha wurde Michał Maliczowski im Münzkabinett fündig.

Wenn ein neues Objekt formell in eine Museumssammlung aufgenommen wird, spricht man von einer Akzession. Nach modernen Standards wird das Objekt mit einem Foto und einer Beschreibung in die digitale Datenbank des Museums aufgenommen. Zusätzlich werden alle verfügbaren Informationen zu Maßen, Provenienz, Material und Alter erfasst. Mehr dazu in: Standards on Accessioning of the International Council of Museums, 2020. Nun ist die Praxis der Akzession viel älter als die modernen Standards und so reichen die Akzessionsbücher des Münzkabinetts der Stiftung Friedenstein Gotha bis ins Jahr 1837 zurück. In der Zeit vor den digitalen Datenbanken war es üblich, die Münzen und Medaillen mit Hilfe von Unterlagszetteln ihrer Provenienz zuzuordnen.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde diese Verbindung zwischen Objekt und Provenienz unterbrochen. Sogenannte Trophäenkommissionen der Roten Armee beschlagnahmten in großem Umfang Museums-, Bibliotheks- und Archivbestände aus den besetzten Gebieten und brachten sie in die damalige Sowjetunion. Zwar konnten 1945 noch unter amerikanischer Besatzung rund 18.000 Objekte von der herzoglichen Familie nach Coburg gebracht werden (der Rückerwerb gelang 2011), der Rest der Sammlung wurde jedoch in die Sowjetunion verbracht. 1958 erfolgte die Rückgabe und de facto die Neugründung des Münzkabinetts. Allerdings kamen die Münzen und Medaillen ohne Inventarbücher und Unterlagszettel zurück, so dass die Numismatiker*innen in den folgenden Jahrzehnten die Mammutaufgabe hatten, die Sammlung neu zu ordnen. Die noch vorhandenen Accessionsbücher aus den Jahren 1837-1945 sind wertvolle Quellen, die Aufschluss über Inhalt und Aufbau der historischen Sammlung geben, auch wenn es heute nur noch in den seltensten Fällen möglich ist, einzelne Objekte tatsächlich bestimmten Nummern zuzuordnen.

C.P.K. Winckel taucht im Accessionsbuch insgesamt fünfmal auf: einmal 1877 mit einer großen Schenkung von 259 Münzen, dreimal 1878 und 1884 mit jeweils kleineren Schenkungen. Da jeweils ein Ort angegeben ist, lassen sich aus den Einträgen die Aufenthaltsorte Winckels ableiten: 1877 Paris (Rue de Mont Thabor), 1878 wieder Semarang und 1884 Gotha.

Spätere Schenkungen umfassen eine Münze aus Java, zwei antike Münzen griechischer Stadtstaaten, 17 Münzen der Diadochenreiche und eine neuzeitliche französische Medaille. Die erste Schenkung ist mit 259 Objekten wesentlich umfangreicher. Zwei der Münzen sind aus Gold, 47 aus Silber, 197 aus verschiedenen Buntmetallen und 13 aus Porzellan. Ein von Winckel selbst verfasster Text, der der Schenkung beigefügt ist, gibt nähere Informationen zu 119 Objektgruppen. Der Text ist nicht alphabetisch geordnet, Münzen aus San Marino folgen auf solche aus Burma, Haiti, Mexiko und Japan. Insgesamt gibt es 35 Münzstände, von denen 31 außereuropäisch sind. Während die meisten Objektgruppen nur sehr oberflächlich beschrieben werden, sind ausgerechnet drei nicht-numismatische Objekte ausführlicher beschrieben – die ursprüngliche Rechtschreibung und Grammatik wurde bei der Transkription beibehalten, die Objekte befinden sich nicht mehr in der Sammlung des Münzkabinetts:

„Drei javanesische Alterthümer aus der Hindu-Periode: a) ein goldener Ring mit dem Sanskrit Wort gaurita [?] = das lateinische Salve. Nach Aussage des Herrn Professors Kern in Leyden soll dieser Ring unzweifelbar ächt und 400 bis 600 Jahre alt sein. Er ist unter einem heiligen Waringin-baum (ficus indica) gefunden […]. Der Bürgermeister des Dorfers wo er gefunden, hat ihn verkauft. Der Jeton allein ist alt, der eigentliche Ring ist, wie man sieht modern. b) Gelbkupferner Ring, viel älter. c) Eine Glocke wie man sie bei den Beerdigungen X Sonstigen Ceremonien benutzte / Die Klingel in der katholischen Messe soll von diesem Buch-[unlesbar verwischt] Muster herstammen. So ein schönes Exemplar kam mir bisher nie vor. Die im Museum zu Leyden sind alle mehr oder weniger beschädigt. Der kleine Schaden an der Lotosblume scheint auf der Reise entstanden. Das Objekt rührt her von einem reichen Manne in Jagjakarta, A. B. Dom. Solche Alterthümer sind sehr selten zu haben. Die Javanesen, und dabei die Mestizen wie der vorige Besitzer, halten sehr viel darauf, ungeachtet, dem Muzelmännschen, sogar Christlichen Glauben. Diese drei Stück sind alles, was ich in 2 Jahren Aufenthalt habe sammeln können. […]“
C.P.K. Winckel, 1877

Auch wenn sich die Informationen um die Person C.P.K. von Winckel weiter verdichten, die Handlungen und Schenkungsvorgänge transparenter werden und anhand der Objekte möglicherweise die Motive des Aufsammelns, Zusammentragens und Verschenkens nachvollziehbar werden, bleiben die konkreten Umstände des Erwerbs in Indonesien weiterhin ungeklärt. Die Herkunftsforschung außereuropäischer Objekte muss über die eigenen Kulturgrenzen hinausgehen, um nicht nur Besitzerwechsel aufzuzeigen, sondern auch das Verständnis für die Kunstschätze anderer Kulturen zu erweitern. Erst wenn die Produzenten und Nutzer vor Ort etwas über ihre Artefakte oder religiösen Kunstwerke erzählen, ist die Provenienzforschung im Bereich des außereuropäischen Kulturguts abgeschlossen. Die Ethnographische Provenienzforschung der Stiftung Friedenstein Gotha beschäftigt sich daher mit der Erforschung der genauen Herkunft der Objekte und versucht, Kontakte in Indonesien aufzubauen.