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Die Kunstkammer auf Schloss Friedenstein

Ein Ort der Bildung und des Experiments

Georg Hainz, Kunstkammerschrank, nach 1666, 124,8 x 102 cm, Foto: Lutz Ebhardt

Die barocke Kunstkammer ist die Keimzelle der Gothaer Sammlungen. An ihrer Geschichte lässt sich die Entwicklung des Museums ablesen. Ihre Objekte erzählen Geschichten von der Welt, von den Menschen, die sie sammelten, und von einer Form der Wissensaneignung, die dem heutigen digitalen Denken verblüffend ähnlich ist.

Die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance und des Barock entwickelten sich aus den Raritäten- und Kuriositätenkabinetten des Mittelalters. Analog zu Bibliotheken waren sie Wissensspeicher, die mit ihren Sammlungen den Zugang zum Wissen über die Welt, andere Kulturen und die Natur ermöglichten. Sie vermittelten dieses Wissen durch eine vielschichtige Betrachtung der Objekte und präsentierten ein Weltbild, in dem alles miteinander verbunden war.

Die Ordnung innerhalb der Kunstkammer unterschied zumeist zwischen Naturalia, Artificialia, Antiquitates, Mirabilia, Scientifica und Exotica. Objekte unterschiedlicher Herkunft und Funktion wurden gemeinsam präsentiert, wodurch ein assoziatives Netzwerk entstand, das mit dem heutigen digitalen Denken vergleichbar ist. Die Kunstkammer auf Schloss Friedenstein genoss weit über Gotha hinaus hohes Ansehen. Sie diente der Bildung der herzoglichen Familie, stand aber auch ausgewählten Mitgliedern der Gothaer Gesellschaft und Gästen offen. Bereits im 18. Jahrhundert war die Gothaer Kunstkammer ein beliebtes Ziel von Bildungsreisen.


Johann Melchior Dinglinger, Briefbeschwerer in Gestalt eines Elefanten, Dresden 1. Viertel 18. Jahrhundert

Als die Kunstkammer auf Schloss Friedenstein eingerichtet wurde, zeichnete sich das Ende dieser Art von Sammlungs- und Wissensräumen in Europa bereits ab. Die Gothaer Kunstkammer stellt daher einen herausragenden Vertreter dieses barocken Typus dar, der die Tradition der älteren Vertreter in Wien, München und Dresden fortsetzt. Ihre Entwicklung ist durch Inventare seit 1656 hervorragend dokumentiert und bietet damit einen reichen Schatz für die Erforschung von Wissenshorizonten.

Herzog Ernst I.

Herzog Ernst I. richtete die Kunstkammer 1653 in einem großen Saal im zweiten Obergeschoss des Westturms von Schloss Friedenstein ein. Direkt darüber befand sich die Bibliothek und in einem angrenzenden Raum das Komödiengemach, in dem Theater- und Musikstücke dargeboten wurden. Die Objekte dieser ersten Kunstkammer auf dem Friedenstein stammten aus der Kunstkammer der Ernestiner in Weimar, sind also deutlich älter als die Kunstkammer selbst.

Das erste Inventar aus dem Jahr 1656 verzeichnet insgesamt 403 Sammlungsobjekte, die im Wesentlichen nach Materialgruppen geordnet sind. Nur ein Jahr später, 1657, gliedert ein neu erstelltes Inventar die Objekte in die für Kunstkammern üblichen Hauptgruppen „Artificialia“, „Naturalia“, „Anatomica“ und „Architectonica“. Verfasser war der umfassend gebildete Gelehrte Hiob Ludolf (1624-1704), Hof- und Justizrat in Gotha und Kammerdirektor. Ludolf kannte verschiedene Kunstkammern aus eigener Anschauung und stand mit gelehrten Sammlerpersönlichkeiten wie Athanasius Kircher (1602-1680) und Ole Worms (1588-1654) in Verbindung.

Westturm, Foto: Susanne Finne-Hörr
Ungefasstes Nautilusgehäuse, Meister unbekannt, 1. Hälfte 18. Jahrhundert, Nautilusgehäuse, geätzt und geschwärzt

Die in der Barockzeit als „Perlmutterschnecke“ bezeichnete Konchylie ist eigentlich das von seiner gemusterten Außenhaut befreite und bis auf die Perlmuttschicht polierte Gehäuse von Nautilus pompilius (auch Perlboot genannt), einem Kopffüßer aus dem Indopazifik. Die Unterteilung der Kalkschale in luftgefüllte Kammern und die Verbindung der Kammern durch einem Kanal ermöglichen dem Tier die horizontale Fortbewegung nach dem Rückstoßprinzip. Nautilusschalen waren wegen ihrer gefälligen, dem Goldenen Schnitt entsprechenden Form, ihres Schillerns und ihrer seit der Antike positiven Zuschreibungen wegen beliebte Kunstkammerobjekte, die gelegentlich auch zu Gefäßen gefasst wurden.

Dieser Nautilus ist ungefasst, aber teilweise durchbrochen gearbeitet, so dass man in einige Kammern hineinsehen kann. Außerdem ist er über und über mit figurenreichen Szenen und Ornamenten graviert und geschwärzt, die in allegorischer und genrehafter Form zwei Elemente darstellen, nämlich auf der einen Seite das Feuer und auf der anderen Seite die Luft. Ebenfalls gravierte Verse in deutscher Sprache kommentieren diese Szenen in moralisierender Weise. Eine zweite Nautilusschale zeigt in gleicher Weise Erde und Wasser. (Agnes Strehlau)

Erythrin (Kobaltblüte)

Die kleine Mineralstufe mit dem auffälligen rotvioletten Beschlag ist ein Quarz mit Erythrinkristallen, die im 18. Jahrhundert aufgrund ihrer Form als Kobold-/Kobaltblüte bezeichnet wurden. Die Stufe stammt aus dem Erzgebirge, genauer „von [der Grube] Daniel zu Schneeb[erg]“, wie es im Mineralieninventar von 1721 heißt.

Das Stück steht stellvertretend für die Minerale und Erze, die aus der Sammlung des Freiberger Oberberghauptmanns Abraham von Schönberg (1640-1711) stammten und um 1717 für 15.000 Taler von Herzog Friedrich II. für die Gothaer Kunstkammer angekauft wurden. Diese geologischen Objekte bildeten den Hauptteil des um 1720 dort neu eingerichteten Mineralienkabinetts. Bei den Inventar-Einträgen zu den Stücken fallen besonders – vor allem im Gegensatz zu den vor 1717 in die Kunstkammer gekommenen Mineralen – die präzise bergmännische Benennung und Herkunftsbezeichnung auf. Aus diesem Grund lassen sich einige Stufen heute noch dieser Provenienz zuordnen.

Unter Friedrich II. (1676-1732) erlebte die Gothaer Kunstkammer ihre Blütezeit. Friedrich II. war ein prunkliebender Barockherrscher, der sich mit dem nach ihm benannten Schloss Friedrichsthal unterhalb der Festungsanlagen des Schlosses Friedenstein ein Sommerpalais nach dem Vorbild des Versailler Schlosses erbaute.

Mit dem Maler Christian Schilbach berief der Herzog 1708 den ersten hauptamtlichen Kunstkämmerer an den Gothaer Hof. Ab 1709 weisen die Kammerrechnungen wieder regelmäßige Ausgaben für die Kunstkammer aus. Unter Schilbachs Ägide entstand 1717 ein neues Kunstkammerinventar, das die Bestände nicht mehr nach Kategorien, sondern nach ihrer räumlichen Verteilung auflistete. In diesem Inventar werden die Objekte erstmals detailliert beschrieben, zum Teil mit Angaben zu Maßen, Gewicht und Provenienz. Die Kunstkammer war nun im Ostturm untergebracht und erstreckte sich dort über die gesamte Grundfläche des ersten Obergeschosses.

Ostturm, Foto: Adrian Leeder

Friedrich II. erweiterte den Bestand der Kunstkammer durch umfangreiche Ankäufe, zum Teil ganzer Sammlungen. 1712 erwarb er die berühmte Münzsammlung des hoch verschuldeten Fürsten Anton Güther II. von Schwarzburg-Arnstadt (1653-1716) für die gewaltige Summe von 100.000 Talern – eine Investition, die sogar die Baukosten von Schloss Friedenstein überstieg. Damit wurde die Gothaer Münzsammlung zu einer der bedeutendsten numismatischen Sammlungen im Europa des 18. Um die neu gewonnene Bedeutung sichtbar zu machen, ließ Friedrich II. die Numismatica aus der Kunstkammer ausgliedern und im ersten Obergeschoss des Ostflügels ein prächtiges Münzkabinett einrichten.

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Eine weitere große Bereicherung erfuhr der Kunstkammerbestand vermutlich im Jahr 1717, als Friedrich II. die Mineraliensammlung des Freiberger Oberberghauptmanns Abraham von Schönberg (1640–1711) für 15.000 Taler kaufte. Die ca. 2000 Stücke umfassende Schönberg’sche Mineraliensammlung bestand zum Großteil aus unterschiedlichen Erzen des sächsischen Erzgebirges. Die genauen Fundortangaben und die verwendete Terminologie der Mineralbezeichnungen unterscheiden sich von den Beschreibungen des älteren Bestandes. Dies zeugt von fachlicher Expertise, die nicht am Gothaer Hof vorhanden war, und lässt auf einen Sammler schließen, der viele Stücke möglicherweise selbst aus den Bergwerken entnommen haben könnte. An einigen wenigen Exemplaren sind die alten Etiketten erhalten geblieben, sodass eine Identifizierung der dem Mineralienkabinett entstammenden Objekte anhand der Nummerierung in seltenen Fällen möglich ist.

Schieferplatte mit Fischfossil, B: 10,9 cm; L: 14,8 cm, Mineralieninventar 1764, S. 191, Nr. 8

1721 kaufte Friedrich II. auch die Arnstädter Raritätensammlung auf, was Anlass für ein neues, nunmehr 645 Seiten umfassendes Inventar war. Gegenüber dem ersten Kunstkammerinventar hatte sich die Objektzahl in den meisten Sammlungsbereichen mehr als verdoppelt, der Bestand an Elfenbeinarbeiten sogar verdreifacht.

Christoph Maucher (1642-1706/07), zugeschrieben, und Johann Ernst Kadau(w) II. (Meister 1674-gest. 1690), Elfenbeinhumpen mit Darstellung der Verehrung des Goldenen Kalbes, um 1674-1680,

Dieser prachtvolle Humpen war ein Geburtstagsgeschenk Herzog Johann Adolphs I. von Sachsen-Weißenfels (1649-1697) an Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg im Jahr 1689. Er wird im Kunstkammerinventar von 1717 als „aus Helfenbein gearbeitete Kanne, worin die Historie der Kinder Israel da sie sich bey dem Güldenen Kalbe frölig bezeugen“ beschrieben.

Die vergoldete Silberfassung des Humpens mit delphinförmig gestaltetem Henkel ist eine Arbeit des Goldschmieds Johann Ernst Kadau(w) II. Er entstammt einer alteingesessenen Goldschmiedefamilie und erlangte im Jahr 1674 seine Meistergerechtigkeit. Es haben sich nur wenige seiner sehr qualitätsvollen Arbeiten in öffentlich zugänglichen Sammlungen erhalten. Die Elfenbeinschnitzereien werden Christoph Maucher (1642-1706/07) zugeschrieben. Der aus Schwäbisch-Gmünd stammende Bernstein- und Elfenbeinschneider Maucher, der zunächst am Hof des Fürsten Karl Eusebius von Liechtenstein (1611-1684) tätig war, ließ sich um 1670 in Danzig nieder. Das einzige signierte und datierte Werk Christoph Mauchers befindet sich in der Sammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien.

Auch der Bestand an Graphiken erfuhr unter Friedrich II. eine bedeutende Erweiterung. Zu den 138 im Großen Saal der Kunstkammer aufbewahrten Büchern mit rund 14 700 graphischen Blättern sind nach 1721 weitere 88 Graphikbände aus dem Nachlass des dem Gothaer Hof eng verbundenen Architekten, Generalmajors und Oberbaudirektors Wolf Christoph Zorn von Plobsheim (1655–1721) in die Kunstkammer gegeben worden. Mit den Zorn’schen Graphiken, bei denen es sich überwiegend um Porträts, Architekturdarstellungen und topographische Ansichten handelte, wuchs der Bestand auf 21 705 Blatt an. Die Erweiterung der Graphiksammlung machte eine Neuaufstellung der Bücher in der Intrade (Eingangszimmer) der Kunstkammer notwendig.

Bildnis des Peter Paul Rubens, Paulus Pontius (Stecher, Verleger), 1630, Kupferstich, H: 39,2 cm, B: 30,2 cm

In der Intrade befanden sich auch moderne chirurgische Instrumente aus Frankreich, die der Kammerdiener und Hofchirurg Johann Christian Bube (gest. 1766) in die Kunstkammer gebracht hatte, wofür er am 15. September 1731 vom Vize-Kunstkämmerer und Pagenhofmeister Johann Christian Schilbach (1703-1757) mit 250 Talern entlohnt wurde.

Johann Georg Keyßler, Autor von Reisebeschreibungen, berichtete über seinen Aufenhalt am Gothaer Hof, dass schon über 300 Taler für das chirurgische Besteck ausgegeben wurden und noch weitere Stücke aus Frankreich erwartet würden. Keyßler betonte, dass sie keine reinen Schaustücke waren, sondern „allen Landskindern, oder denen, die sich hier niederlassen, zum Gebrauche frey“ seien.
Johann Georg Keyßler (1693–1743), 1741

Friedrich III. (1699–1772) ließ nach dem Tod seines Vaters ein weiteres Inventar anfertigen und führte während seiner Regierungszeit eine Bestandsaufnahme der Bestände durch, bei der irreparabel beschädigte Objekte aussortiert wurden. Auch Friedrich III. vergrößerte die Sammlung um einige Stücke, jedoch bei Weitem nicht in dem Maße, wie dies sein Vater getan hatte. 1738 erwarb Johann Christian Schilbach für 34 Taler eine 109 Bände umfassende Xylothek von einem „Studioso Nahmens Götsche aus Halle“. Im Jahr darauf gab der Herzog 17 „mathematische“ und „geometrische“ Instrumente in die Kunstkammer sowie „ein blaues mit goldenen Buchstaben gesticktes Chinesisches Ober-Kleid, so den 27. Sept. 1739 von Ihro Excell dem hn. Grafen von Kayserling verehret worden“. Hinzu kamen einige weitere Exotica und Kuriosa.

Nicolas de Largillière, Friedrich III. von Sachsen-Gotha-Altenburg, um 1720
Gewand eines Mandarin, China, Quing-Zeit (1644-1911), vor 1739, Seide, Zunn, L (Rücken): 103,4 cm, L (Arm ab Halsausschnitt): 60,0 cm. Eingewebte chinesische Schriftzeichen ‚FU‘ bedeuten Glück.
Gewand eines Mandarin, China, Quing-Zeit (1644-1911), vor 1739, Seide, Zunn, L (Rücken): 103,4 cm, L (Arm ab Halsausschnitt): 60,0 cm. Eingewebte chinesische Schriftzeichen ‚FU‘ bedeuten Glück.

Ernst II.

Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1745-1804), der eine umfassende Bildung im Geiste der Aufklärung genoss, war vielseitig interessiert, förderte die Bibliothek durch bedeutende Ankäufe, erweiterte das Münzkabinett u.a. um fünf bedeutende Antikensammlungen und vergrößerte die wissenschaftlichen Sammlungen mit einem beträchtlichen Teil seines Privatvermögens. Ein besonderes Interesse des Herzogs galt den Naturwissenschaften, insbesondere der Astronomie und der Physik. Die von Ernst II. erworbenen naturwissenschaftlichen Instrumente wurden jedoch nicht in die Kunstkammer integriert, da sie nicht als Anschauungsobjekte dienten, sondern für den Gebrauch bestimmt waren. Dafür ließ sich der Herzog im dritten Stock des Ostturms ein physikalisches Kabinett einrichten, in dem er selbst forschte und experimentierte. Auch die von Ernst II. gesammelten Gemälde, vornehmlich niederländischer Meister, sowie seine private Graphiksammlung wurden nicht in die Kunstkammer integriert, sondern separat präsentiert.

Antonio Chichi, Korkmodell der Cestiuspyramide, Ende 18. Jahrhundert

Ernst II. zeigte zwar weniger Engagement für die Kunstkammer, bereicherte sie aber ebenfalls um bemerkenswerte Stücke, darunter zwölf Korkmodelle antiker Bauwerke des römischen Phelloplastikers Antonio Chichi (1743-1816), die er vermutlich zwischen 1772 und 1787 erwarb. Neun der Modelle waren in der Kunstkammer einzeln unter Glashauben ausgestellt, die übrigen befanden sich vermutlich in den Sammlungsschränken. Vermutlich stand der Erwerb der antiken Modelle im Zusammenhang mit dem Bestreben des Herzogs, in Gotha eine Kunst- und Zeichenschule zu gründen, zu deren zentralen Lehrinhalten traditionell das Studium der Antike gehörte.

Mit Herzog August bekam die Kunstkammer einen leidenschaftlichen Sammler und Künstler als Verantwortlichen. August bediente sich frei an den Objekten für die er eine besondere Vorleibe hatte. Neben Ethnographica waren das besonders gefasste und ungefasste Schmucksteine und Gemmen. Sein großes Interesse für antike und fremde Kulturen führte zu einem beträchtlichen Anwachsen der in diesem Bereich bereits vorhandenen Objekte. Besonders die durch den Orientreisende Ulrich Jasper Seetzen erworbenen orientalische
Handschriften, Mumien, Sarkophage, Kleinplastiken, Schmuck, Grabbeigaben, Alltagsgegenstände und zahlreiche Naturalien, darunter Minerale und Fossilien. Die von Seetzen übersandten Ägyptica begründeten in Gotha eine der ältesten Sammlungen
dieser Art in Deutschland.

Mit Herzog August übernahm ein leidenschaftlicher Sammler und Künstler die Kunstkammer. August bediente sich frei an den Objekten für die er eine besondere Vorliebe hatte und platzierte sie in seinem direkten Umfeld. Neben Ethnographica waren das besonders gefasste und ungefasste Schmucksteine und Gemmen. Sein großes Interesse für antike und fremde Kulturen führte zu einem beträchtlichen Anwachsen der in diesem Bereich bereits vorhandenen Objekte. Besonders die durch den Orientreisende Ulrich Jasper Seetzen erworbenen orientalische Handschriften, Mumien, Sarkophage, Kleinplastiken, Schmuck, Grabbeigaben, Alltagsgegenstände und zahlreiche Naturalien, darunter Minerale und Fossilien. Die von Seetzen übersandten Ägyptica begründeten in Gotha eine der ältesten Sammlungen dieser Art in Deutschland.

Hockfigur eines Beamten, Mittleres Reich, 12. Dynastie, um 1870 v. Chr., Granodiorit, 34x19x22,5 m, Provenienz: Erworben durch Ulrich Jasper Seetzen.

Die künstlerisch herausragende und sehr gut erhaltene Hockfigur eines Beamten befindet sich auf einer leicht beschädigten Basis. Der beleibte Mann sitzt aufrecht mit untergeschlagenen Beinen, die von einem akkurat über der Taille gebundenen Schurz bedeckt sind. Ebenso wie die flischige Brust und die Wohlstandsfalten am Bauch verweist dieser auf einen höheren sozialen Status. Die Hände liegen ausgestreckt parallel zueinander auf den Oberschenkeln. Der Hockende nimmt eine typische Gebetshaltung ein. Figuren in dieser Haltung gehören zum künstlerischen Typenschatz des Mittleren Reiches. Faszinierend ist der blockhaft gebundene, innere Würde und Ruhe ausstrahlende Habitus der Figur, die dem klassischen Stil dieser Zeit entspricht.

Ulrich Jasper Seetzen beschrieb diese Figur in seinen handschriftlichen Erwerbungslisten als eine „weibl. oben nackte antike Statue in sitzender Stellung v. schwarzem Basalt; in Aegypten gefunden.“ Die Fleischigkeit der Brustpartie und die schulterlangen Haare mögen ihn zu der Interpretation als weiblich bewogen haben. Es ist interessant, dass auch noch in dem 1879 bis 1890 erstellten Inventar der „Aegyptischen Alterthümer“ von Carl Aldehoven, dem damaligen Direktor des Herzoglichen Museums Gotha, von einer „Knieenden Frau von schwarzem Granit, bekleidet mit dem Schenti, Oberkörper nackt“ gesprochen wird mit dem Zusatz „die Brust lässt zweifelhaft, ob es nicht ein Mann ist“.

Modell des Heiligen Grabes, vor 1811, Hersteller unbekannt, Herkunft: Jerusalem, Herstellung Bethlehem, Hoz, Perlmutt, H: 15,5 cm, B: 6,5 cm, L: 19,0 cm (gesamt)

Pilgerandenken aus dem Heiligen Land, von Ulrich Jasper Seetzen (1767-1811) im Auftrag von Herzog August erworben und nach Gotha gesandt.

Die Objekte, die als Memorabilia aus dem Gelobten Land von Ulrich Jasper Seetzen für die Gothaer Herzöge erworben wurden, umfassten Rosenkränze, Gebetsschnüre, Kruzifixe, kleine Ikonen sowie das Modell des Heiligen Grabes. Nicht erhalten geblieben sind blecherne Pilgerampullen mit Zachäusöl aus Sakúmfrüchten, Flaschen mit dem heiligem Wasser aus dem Jordan, kleinere Perlmuttermedaillons mit eingravierter Darstellung der Friedenstaube und dem Abbild der Mutter Gottes. (Kerstin Volker-Saad)

Über den in London ansässigen Händler und späteren Verleger Joseph Meyer (1796– 1856) erwarb Herzog August zahlreiche Ostasiatica, die den in der Kunstkammer vorhandenen Bestand ergänzten. Seine berühmte Ostasiensammlung, für die er in der dritten Etage des
Westturmes ein eigenes „Chinesisches Kabinett“ einrichten ließ, galt im 19. Jahrhundert als eine der bedeutendsten in Europa.

Herzog Friedrich IV. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1774– 1825), der 1822 seinem ohne männliche Nachkommen verstorbenen Bruder in der Regierung des Herzogtums folgte, ordnete am 12. Juli 1824 an, „das Chinesiche Cabinet […] in eine schickliche Anordnung und Aufstellung zu bringen“. Hierfür ließ er auch die Ostasiatica aus dem alten Kunstkammerbestand in das Chinesische Kabinett verbringen, das sich insgesamt über sechs Räume erstreckte.
1824 machte Friedrich IV. die herzoglichen Sammlungen mit der Gründung eines Museums im Schloss der Öffentlichkeit zugänglich. Seit 1822 hatte Ernst Friedrich von Schlotheim (1765-1832) die Oberaufsicht über die Bibliotheken, die herzoglichen Sammlungen und das Münzkabinett. Im Auftrag Friedrichs IV. ordnete er die Bestände völlig neu und löste sie aus ihrem bisherigen räumlichen Zusammenhang, was das Ende der Gothaer Kunstkammer bedeutete. Für Besucher waren die auf verschiedene Räume des Schlosses verteilten Sammlungen jedoch nur schwer zugänglich, so dass schon bald über einen Museumsneubau nachgedacht wurde.

Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha (1818- 1893) beauftragte schließlich 1864 den Wiener Architekten Franz von Neumann (1815-1888) mit dem Bau des Herzoglichen Museums gegenüber dem Schloss. Nach langer Bauzeit wurde das elegante, mit modernen Oberlichtsälen ausgestattete Museum 1879 feierlich eröffnet und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bis 1945 beherbergte es neben der Bibliothek und dem Münzkabinett alle kunst- und naturhistorischen Sammlungen, die aus der Friedensteinischen Kunstkammer hervorgegangen waren.

Herzogliches Museum, Foto: Marcus Glahn

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